Sexismus und andere Widerlichkeiten

Am 27. November ist ein Mann von seiner Funktion im Landesvorstand BW zurückgetreten. [1]

Am 26. November ist eine Frau von ihrer Funktion in einem Bezirksvorstand in BW zurückgetreten und aus der Piratenpartei ausgetreten.[2]

Der Mann tritt ohne Angabe von Gründen von seiner Funktion zurück.

Seinen Rücktritt bedauern, öffentlich auf der Mailingliste des LV BW: der Landesvorsitzende, ein Stellvertretender Bundesvorsitzender, ein Bezirksvorsitzender, und andere. Keiner von 17 Schreibern Fragt nach Gründen.

Die Frau tritt ohne Angabe von Gründen von ihrer Funktion zurück.

Ihren Rücktritt bedauern, öffentlich auf der Mailingliste des LV BW: der Vorsitzende ihres Bezirks und ein weiteres Mitglied der Piratenpartei. Zwei von 4 Schreibern bemängeln das fehlen von Informationen bezüglich des Rücktritts.

Am 28. November 2012 nimmt der Mann auf seinem Blog Stellung zu seinem Rücktritt und gibt dort unter anderem den Vorwurf der Intransparenz bei der Arbeit im Lavo gegen ihn als Grund an.[3]

Am 27. November 2012 nimmt die Frau auf der Mailingliste BW Stellung zu ihrem Rücktritt und erklärt dort unter anderem „Das Sexisten-Thema hat enorm zugenommen, ich habe mich am Ende als Frau nicht mehr wohl gefühlt“.[4]

Der Erklärung des Mannes folgen wortreiche Postings auf der Mailingliste, in denen klarstellt wird, das die die Vorwürfe, die ihm gemacht wurden, haltlos sind. Hier äußert sich auch ein stellvertretender Bundesvorsitzender.

Der Erklärung der Frau folgt eine bitte um Konkretisierung des Sexismus Vorwurfs.

Die Erklärung erfolgt.

Die Erklärung, die sie Liefert, ist ein Armutszeugnis für die Piratenpartei.

Sie schreibt, das in ihrem Umfeld „zu viele Sexistische Kommentare gefallen sind“. Sie schreibt, das sie sich „nicht mehr als Mensch (Frau) sondern wie ein Stück Fleisch das man in ein Rudel Wölfe wirft“ gefühlt hat.

Ein einziger Schreiber bezieht dazu Stellung, er zeigt sich entsetzt über das geschehene und  zieht Rückschlüsse für die Piratenpartei.

Your back’s against the wall

There’s no one home to call

An diese stelle mache ich einen cut. Das pure gegenüberstellen der beiden fälle zeigt sehr deutlich das Vorhandensein von Doppelstandards in der Behandlung von Mann und Frau in der Piratenpartei. [5]

Die pure Gegenüberstellung beider Fälle zeigt, das der Mann dieser Partei wichtiger ist. Als er seinen Rücktritt Begründet, wird er, höchst Prominent, gegen Angriffe verteidigt.

Von der Frau wird eine Begründung für ihren schritt eingefordert. Als sie ihn begründet, wird von ihr eine Klarstellung gewünscht. Nachdem sie diese geliefert hat, passiert ….nichts.

Ich war nach, nachdem ich gelesen habe, das sich Mel in der Piratenpartei nicht „mehr als Mensch (Frau) sondern wie ein Stück Fleisch das man in ein Rudel Wölfe wirft“ fühlt, entsetzt.

Ich kenne Mel eigentlich als sehr offenen, Freundlichen, aber auch verletzlichen Menschen. Ich habe in den letzten Monaten mehrmals mit ihr über twitter und per Mail verschiedene Themen diskutiert. Dabei ist mir nie aufgefallen, wie unwohl sie sich in der Piratenpartei fühlt. Das bedauere ich für mich und es tut mir leid. Es tut mir leid, das ich Mel nicht das Gefühl vermittelt habe, mit mir über „Sexistische Kommentare“ und das vorgehen gegen die Urheber Reden zu können.

Das ist die eine ebene, die des persönlichen Versagens im Konkreten Fall.

Die andere Ebene ist die des Politischen Umgangs mit diesem Fall.

Ein solcher Politische Umgang ist schlich nicht vorhanden.

You’re forgetting who you are

You can’t stop crying

Wenn eine Frau, weil sie das sie umgebende Sexistische Klima nicht erträgt, von ihrer Funktion zurück und aus der Partei austritt, wird dies nicht diskutiert.

Klar ist, dass die Piratenpartei nicht außerhalb der Gesellschaft steht, sondern tief in ihr und ihren Strukturen und Denken verwurzelt ist. Nur aufgrund ihrer emanzipatorischen Ansprüche werden Mitglieder der Piratenpartei nicht zu besseren Menschen. In unserem Umfeld, zum Beispiel bei Stammtischen, deren Teilnehmer als weitestgehend politisiert bezeichnet werden können, fehlt viel zu häufig das Bewusstsein für antisexistische Themen.

Eine Verbale Ablehnung von Sexismus gehört zwar in der Piratenpartei inzwischen beinahe zum Selbstverständlichen Standard, wird jedoch kaum mit Inhalten gefüllt. So kommt es nicht selten vor, dass Blogs mit sexistische Texten unreflektiert weiterverbreitet werden. Wird dies, selten genug, thematisiert, ist die Reaktion oft Unverständnis. Da wird geschrieben, man dürfe das alles nicht zu ernst nehmen, schließlich sei es ja nur ein Text, das alles sei nur eine Interpretationsfrage etc.

Auch in anderen Piraten Strukturen ist Sexismus ein niemals endendes Thema. Trotz des vielen Geschriebenen und Gesagten sind im Bezug auf die Sensibilisierung gegenüber Sexismus und den Umgang miteinander kaum Fortschritte sichtbar geworden. Im Gegensatz zu anderen Themen verlaufen Diskussionen über Sexismus oft emotional aufgeheizt und kommen über das Gerede von nötigen Strukturänderungen selten hinaus.

It’s part not giving in

Part trusting your friends

Außerdem scheint es, als immer und immer wieder dieselben Diskussionen geführt werden.

Wir sprechen das Thema immer und immer wider an, weil es immer und immer wieder „Fälle“ wie die den jetzigen gibt.

Diese „Fälle“, die vieles, nur keine „Einzelfälle“ sind, sollten uns innehalten lassen und von uns zur Ruflektion unserer Strukturen und des Umgangs Miteinander bewegen.

Wir müssen uns der Frage stellen: warum sprechen Frauen Sexistische Vorfälle, Queer homophobe Vorfälle nicht offen an? Und wenn sich sich zu Ohnmächtig fühlen, den Diskriminierenden offen entgegenzutreten, warum sprechen sie solche Vorfälle nicht bei Menschen an, denen sie Vertrauen?

Das Problem hier ist die Angst, zu versagen, das Unbehagen, sich durch ansprechen des Problems aus der Gruppe zu Exkludieren. Die Angst, wenn man die Diskriminierung anspricht, nicht gegen den Diskriminierenden alleine zu stehen, sondern sich auch noch mit den immer vorhandenen Verharmlosern solcher fälle auseinander setzen zu müssen.

Diese Ängste können nur überwunden werden, wenn sie aktiv angegangen werden und sich nicht auf einem Status Quo ausgeruht wird.

Frauen in der Piratenpartei gehen oftmals, aufgrund der angst, aus „der Gruppe“ ausgeschlossen zu werden, Kompromisse in Bezug auf die Thematisierung sexistischer Verhaltensweisen ein.

Oft genug verzichten sie auf das Ansprechen von Sexismus, obwohl sie ihnen eigentlich wichtig wäre, weil sie negative Reaktionen befürchten.

Diese Reaktionen müssen nicht verbal geäußert werden, ein Augenrollen oder andere Anzeichen von genervt sein reichen oftmals aus, um Frauen einzuschüchtern.

Das diese Anzeichen unwidersprochen belieben vermittelt Frauen, dass kein Interesse an einer Auseinandersetzung über das Thema gibt.

Sexismus wird innerhalb der Piratenpartei nicht nur belächelt, sondern auch gerne übergangen oder kleingeredet. Frauen werden so gezwungen, Kompromisse einzugehen. Sie tun das, um sich nicht den Vorwurf auszusetzen, sie würden ständig Nebensächlichkeiten „eskalieren lassen“.

Wenn die Piratenpartei gesellschaftlichen Sexismus und eigenes sexistisches Verhalten ignoriert, wird sich nichts ändern.

You do it all again and I’m not lying

Wir müssen aber dringen etwas ändern.

Wir müssen aus der Piratenpartei (wieder?) einen Ort machen, in dem jeder Mensch sich traut, seine Probleme mit Wertenden Äußerungen, Abwertungen und Diskriminierung ohne Angst anzusprechen.

Wir müssen ein Klima erzeugen, das Menschen nicht verängstigt, sondern in der Gruppe stark macht. Wir müssen, wenn ein Mensch Diskriminierung anspricht, dies nicht zerreden und instinktiv dem Diskriminierenden beispringen, weil er angeklagt ist.

Wir müssen Diskriminierendes Reden gemeinsam objektiv analysieren und dann Partei ergreifen, ohne Opfer aus der Gruppe zu Exkludieren. Sogar wenn wir anderer Meinung als das Opfer sind: wir müssen dem Opfer zuhören, dürfen seine Gefühle und Empfindungen nicht als von vornherein Unbegründet abtun.

Wir alle müssen uns aufgefordert fühlen, unser verhalten und handeln selbst zu Reflektieren und die Diskussion bzw. Befassung mit dem Thema Sexismus ernst zu nehmen!

 

Zwischenüberschriften aus The Gossip – „Standing in the way of control

[1] Rücktritt

[2] Rücktritt BZV S

[3] Macht euren Scheiss doch selbst…

[4] Stellungnahme Rücktritt BzV S

[5] Doppelstandard

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8 Kommentare - “Sexismus und andere Widerlichkeiten”

  1. JoKnopp Says:

    Hi Peter, danke für den Post. Du hast gut ausgeleuchtet, wie Piraten Frauen und Männer mit zweierlei Maß messen. Die Frauen müssen für gleiches Ansehen mehr leisten, das ist echt traurig.

    Über eine Sache bin ich allerdings beim Lesen gestolpert: Von Marco wurde wahrscheinlich keine Begründung gefordert, weil er in seiner Rücktritts-Mail bereits angekündigt hat, eine zu verbloggen.

    Es kann zwar sein, dass er ohne diese Ankündigung auch nicht zu einer Begründung aufgefordert worden wäre, aber wissen können wir es nicht.

    Dennoch bleibt die Gesamtaussage deines Posts richtig.


    • Ich glaube, ich muss da mal etwas richtig stellen:
      Ich wurde sehr oft gefragt nach meinen Rücktrittsgründen (trotz der angekündigten Erklärung!), nur auf anderem Wege. Da ich am BPT schon zurückgetreten bin und es dort einige mitbekommen haben, wurde ich da schon dutzend mal gefragt wieso, ebenso via Twitter. Dies hast du leider nicht mir analysiert.

      Auch Mel wurde über andere Wege desöfteren gefragt, siehe auch hier Twitter.

      Gruß,
      Marco

  2. Mel Says:

    Ich finde deine Blogpost sehr gut, aber du hast recht, es gibt nur sehr wenige die gemerkt haben das ich mich unwohl fühle. Aber es trifft weder dich noch andere eine Schuld daran. Du solltest dir deswegen keine Vorwürfe machen. Ich finde es toll das du dich mit dem Thema auseinander setzt und vielleicht denkt der ein oder andere jetzt über sich und sein Verhalten Frauen gegenüber nach. Auch wenn es am Anfang nur Spaß ist und es scheint es macht der Frau nichts aus so tut es trotzdem verletzen!

  3. alex Says:

    So ein Quatsch. Ich kenn die Melanie gar nicht. DaKilla schon. Nicht alles, was hinkt, ist ein Vergleich.

    • kpeterl Says:

      Und das du DaKilla kennst hat mit Sexismus was genau zu tun?

      • Klischeepunk Says:

        Es hat etwas mit deiner zu Grunde liegenden Analyse der Relevanz der Personen zu tun. Wir haben 2 Rücktritte: BZVor Stuttgart (Die Frau) zuständig für Stuttgart & einmal LVor (Der Mann) zuständig für das Land Baden Württemberg und die dortigen Untergliederungen.
        Allein aus den Sitzungen ist von einer höheren Bekanntheit von Marco auszugehen (nicht jeder der sich LVor Sitzungen antut tut sich auch den BZVor Stuttgart an aus fehlendem Interesse etc. pp.)

        Dazu kommt die von dir nicht beachtete Wahl des Mediums, während ich Marcos Rücktritt bspw. auf der bwmist kommentiert hab, hab ich Mel persönlich auf Twitter alles gute Gewünscht. Derartige Abweichungen kommen in größeren Rahmen vor. Zusätzlich kommt die von Marco angesprochene Abweichung was deine Wahrnehmung der Einforderung einer Begründung/Stellungnahme angeht, gegenüber der Realität.

        Das macht deine ersten beiden Absätze in komplettem Rahmen hinfällig. Ob du darauf ne Analyse aufbauen solltest …

        Mit dem zugrundeliegenden Sexismus hat das herzlich wenig zu tun, aber mit deinen grundlegenden Annahmen der Wertigkeit eine ganze Menge.


  4. […] Wenn man die anderen Argumentationsebenen ignoriert und gnadenlos inhaltlich weitermacht unterstützt man die Hetzer. Die Trolle. Genau das haben weite Teile des Postes gemacht – nur einer Person ist aufgefallen, dass die getroffene Aussage im Gesamtbild fatal ist. Die ganze Diskussion hat mir noch einmal sehr deutlich gemacht, warum die Piraten so viele Führungsfiguren verschleißen. Das Hetzen einzelner und die schweigende Zustimmung fast aller hält auf die Dauer niemand aus. […]

  5. Bernd Says:

    Die Analyse anhand von Rückfragehäufigkeit (wobei einer angekündigt hat zu erklären und die andere nicht) halte ich nicht für zulässig.

    Nichtsdestotrotz würde ich schon mal gerne eine genaue Erklärung haben wann wo sexistische Überfälle stattfanden. Geht es um Piratenmedien, Piratenstammtische oder Twitter?

    Gruss
    Bernd


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