Eine Demonstration in Essen und ein trauriger Tag für Deutschland.

Tl;dr warum es erschütternd ist, das der antisemitische Mob marschiert und wir froh sein müssen, das keine Synagoge gebrannt hat

content warning: Enthält Zitate Antisemitischer Sprüche;

Nach einer abgebrochenen Pro-Palästina-Kundgebung der Linksjugend Solid Ruhr sind mehrere hundert Teilnehmer zu einer Demonstration vor dem Essener Hauptbahnhof gezogen, um die Kundgebung „Gegen Antizionismus und Terror“ zu stören. Eine zweite Demonstration zog in Richtung Alte Synagoge.

Ziel der Demonstranten ist die Synagoge und die Polizei versucht alles, um dies zu verhindern.“

Im Liveticker der Ruhrbarone erschien die Meldung „Ziel der Demonstranten ist die Synagoge und die Polizei versucht alles, um dies zu verhindern“. Voller Entsetzen darüber, dass im Jahre 2014, unter dem Deckmantel der Israelkritik, versucht wird, jüdische Gebetshäuser anzugreifen, verbreitete ich diese Nachricht über Twitter.

Kurze Zeit Später informierte mich der Bundestagsabgeordnete Niema Movassat von Die Linke darüber, dass die Synagoge nicht angegriffen wird  und dass er sich in der Nähe aufhält, um sie mit anderen notfalls zu schützen.

Dies nahmen die Ruhrbarone auf und meldeten „Guten Nachrichten gibt es zur Zeit von der Essener Synagoge. Dort ist alles ruhig„.

Diese Nachricht verbreitete ich auch.

Dass diese Nachricht existiert und nötig war, stellt das Traurigste am heutigen Tag dar.

Ein antisemitischer Mob geht gegen Pro Israel Demonstranten mit, teilweise tradierten, antisemitischen Rufen wie „Scheiss Juden“, „Dreck muss weg!”, „Scheißjuden, brennt“ und „Israel Kindermörder”[1], vor.

Die Stimmung auf der „anderen Seite“ ist deutlich Friedvoller.Ungehindert werfen Pro-Hamas-Demonstranten Steine und Böller auf die friedlichen Pro-Israel-Demonstranten, die währenddessen beginnen, den Shabbat zu feiern

Gleichzeitig ist es im Jahr 2014 eine Meldens werte Nachricht, dass der antisemitische Mob die Essener Synagoge nicht angreift.

Wegen „Friedensdemonstrationen“ werden jüdische Kindergärten stärker bewacht.

76 Jahre nach der Reichspogromnacht muss ich in Deutschland froh darüber sein, dass „Friedensdemonstranten“ darauf verzichten, eine Synagoge anzugreifen.

76 Jahre nach der Reichspogromnacht vereitelt die Polizei im Vorfeld einer „Friedensdemonstration“ wahrscheinlich einen Anschlag auf eine Synagoge.

76 Jahre nach der Reichspogromnacht müssen, wegen der Land auf, Land ab, stattfindenden „Friedensdemonstrationen“ jüdische Kindergärten und Altenheime sowie Synagogen stärker bewacht werden.

76 Jahre nach der der Reichspogromnacht ist es ein historischer Rückschritt übelsten Ausmaßes, dass es in Deutschland wieder Menschen gibt, die Synagogen stürmen wollen.

Kein Mensch kam auf die Idee, während des zweiten Golfkriegs baptistische Kirschen stärker zu bewachen oder gar anzugreifen, obwohl Georg H. W. Bush doch Baptist ist.

Als Frankreich und Großbritannien Libyen bombardierten, mussten in Deutschland keine katholischen und anglikanischen Kindergärten und Altenheime von mit Maschinenpistolen bewaffneten Polizisten bewacht werden, obwohl François Hollande Katholik und David Cameron Anglikaner ist.

Aber wenn die israelischen Verteidigungsstreitkräfte das Existenzrecht des Staates Israel verteidigen, müssen Kippa tragende Juden in Deutschland Angst um ihre Gesundheit haben und sich Sorgen, dass ihre Synagogen wieder brennen. Jüdische Kindergärten und Altenheime müssen von Maschienenpistolen-tragenden Polizisten gesichert werden, weil Menschen jüdischen Glaubens Angst haben müssen, dass sie angegriffen werden.

Wenn ich, 76 Jahre nach der der Reichspogromnacht, lesen muss, dass Menschen in Deutschland am Rande einer „Friedensdemonstration“ bereitstehen, um Synagogen vor Angriffen zu schützen, dann ist das menschlich hochanständig.

Es ist nur alles, aber keine GUTE Nachricht. Alleine, dass 2014 Menschen bereitstehen müssen, um Synagogen zu schützen, zeigt die ganze Erbärmlichkeit des wiedererstarkenden Antisemitismus. Unsere Bereitschaft, das Ausbleiben von Angriffen auf jüdische Kindergärten, Altenheime und Synagogen als Meldens werte Nachricht zu sehen zeigt, wie selbstverständlich die Akzeptanz von, als “Israel-Kritik” und “Anti-Zionismus” getarnten Antisemitismus inzwischen geworden ist.
Viele der aktuellen Pro-Gaza-Demos lassen keinen Zweifel mehr: Parolen wie “Jude, Jude, feiges Schwein, komm heraus und kämpf allein” dürften wohl seit 1945 nicht mehr in der Offenheit auf Deutschlands Straßen gebrüllt worden sein. Wer in diesen Zusammenhang jetzt noch leugnet, das “Israel-Kritik” und sogenannter “Anti-Zionismus” nur schlecht getarnter Antisemitismus im neuen Gewand sind, macht wissentlich gemeinsame Sache mit einer hasserfüllten Meute.

Es ist ein trauriger Tag für Deutschland, wenn in seinen Straßen wieder der antisemitische Mob marschiert und es eine Meldens werte Nachricht ist, dass keine Synagoge gebrannt hat.

 

Danksagungen und Quellen:

Ich danke @Bolkerito, @Hollarius und @HomoCarnula für Lektorat, Kritik und Unterstützung
[1] „Israel Kindermörder” ist aus folgenden Gründen eine antisemitischer Parole.

1) Wenn bedauernswerter weise Kinder bei Angriffen, die der legitimen Verteidigung des Staates Israel dienen, sterben, so werden sie getötet und nicht ermordet. Kinder werden von Israelis nicht absichtlich aus niederen Beweggründen getötet, was Voraussetzung für einen Mord wäre.

2) Das Juden Kinder aus rituellen Gründen ermorden, ist eine der ältesten, widerwärtigsten und bekanntesten Behauptungen, die schon seit Jahrhunderten von Antisemiten aufgestellt werden. Wegen dieser Behauptung sind schon Tausende von Juden all überall getötet worden.

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4 Kommentare - “Eine Demonstration in Essen und ein trauriger Tag für Deutschland.”

  1. hansi Says:

    Ein Kommentar, der weit Ausholt und doch die illegalen Siedlungen mit keinem Wort erwähnt?

    • kpeterlbw Says:

      Der Antisemitische Mob marschiert durch Essen und übt Gewalt gegen all jene, die Verdächtigt, Juden zu sein, aus. Und du so: „Aber die Siedlungen!“. Die Siedlungen sind weder Anlass noch Entschuldigung für die Antisemitischen auswüchse in Essen. Siedlungen als Entschuldigung zu nehmen, um Synagogen zu stürmen ist erbärmlich und verlogen zugleich.
      Die Antisemitische Mob in Essen gebraucht die Siedlungen einzig zum Kaschieren seines Antisemitismus als „Israelkritik“ oder „Antizionismus“. Wie sagte Sartre vor Jahr und Tag in seinen „Überlegungen zur Judenfrage“? „Was der Antisemit wünscht und vorbereitet, ist der Tod des Juden.“ Siedlungen sind ihm beim erreichen dieses Ziels als ausrede ebenso genehm wie die „Zionistische Weltverschwörung“.

  2. PAB Says:

    Ein kleiner Hinweis: Es geht – zum Glück – nicht um die Essener Synagoge, sondern um die ALTE SYNAGOGE, die von der Polizei beschützt werden musste. Sie konnte nur bis zum Novemberpogrom 1938 ihre eigentliche Funktion als Gotteshaus erfüllen und ist heute ein städtisches „Haus der jüdischen Kultur“. Das macht es selbstverständlich trotzdem alles nicht besser, es geht den potenziellen Angreifern ja um die Symbolkraft des Gebäudes und nicht um die aktuelle Nutzung. Zumal die überwiegende Mehrzahl dieser antisemitischem Fanatiker auch denkt, es handele sich bei ihrem Angriffsziel um eine Synagoge (was wenigstens – ein ganz kleiner Trost – dazu führt, dass sie bislang nicht auch noch die Essener Synagoge attackiert haben, weil sie keine Ahnung haben, wo die ist). Aber man sollte wissen, worüber man schreibt.

  3. Lars Says:

    Ich gebe dir in einem uneingeschränkt Recht: Es ist nicht hinnehmbar, dass Menschen jüdischen Glaubens in Deutschland Angst haben müssen, nur weil sie eine Kippa tragen oder eine Synagoge besuchen.

    Andererseits muss ich auch ganz klar der Verallgemeinerung widersprechen, dass jede Kritik an der israelischen Regierung/Politik antisemitschen Ursprungs ist.

    Vieles was die israelische Regierung macht ist falsch – genauso falsch, wie vieles, was gewissse Gruppierungen aus dem Gaza-Streifen heraus machen.

    Haben die Menschen auf beiden Seiten der Grenze nicht das Recht auf ein selbstbestimmtes, friedliches Leben? Ich meine doch! Und genau das ist es, was es durchzusetzen gilt. Beide Seiten müssen – notfalls dazu gezwungen werden – endlich einzusehen, dass dieses immerwährende Gegeneinander keine Aussicht auf Erfolg bringt.


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