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„Zigeunersoße“, Ausgrenzung und Kulturrassismus

21. August 2013

tl;dr Es wird um „Zigeunersoße“ gestritten, um sich nicht vom Kampfbegriff des „Zigeuners“ zu lösen und wenigstens aus Respekt die Eigenbezeichnung Sinti und Roma anzuerkennen.

Sie haben kein eigenes Land, stellen nirgendwo die Mehrheit der Bevölkerung und sie leben in vielen Ländern verstreut mit so vielen unterschiedlichen Pässen wie Namen: Die Roma.

Weltweit gibt es rund zehn Millionen Roma, etwa 100.000 von ihnen -genaue Zahlen gibt es nicht-, leben in Deutschland. Schon in Aufzeichnungen aus dem 17. Jahrhundert heißt es über die „Zigeuner“, Gypsies oder Gitanos, sie seien nichts „anderes, denn ein zusammen gelauffenes böses Gesindel, so nicht Lust zu arbeiten hat, sondern von Müßiggang, Stehlen, Huren, Fressen, Sauffen und Spielen Profession machen will.“ [1]

Eine Gruppe, auf die sich Vernichtungsfantasien richten

Schon früh wurden Roma als ehrloses Volk angesehen, das keinerlei Rechte zu beanspruchen habe. Und bis heute stellen sie eine Gruppe dar, auf die sich Vernichtungsfantasien richten.

Die Darstellungen in den Medien bedienen sich ebenso wie die populistische Rhetorik aus dem tradierten Repertoire der Vorurteile, die den Vernichtungsfantasien zugrundeliegen .

Alte Feindbilder ruhen wie Schmutz am Boden unserer Gesellschaft. Ein Beispiel dafür ist ein Aufmacher der Schweizer Weltwoche im vergangenen Jahr: Das Titelbild zeigte ein Romakind, das mit einer Pistole auf den Betrachter zielt. Darunter die Schlagzeile: „Die Roma kommen: Raubzüge in die Schweiz“.

Ein plumperes Bedrohungsklischee konnte kaum gewählt werden. Auch wird gern erschwiegen, dass die Roma nicht jetzt erst kommen; sie leben seit Jahrhunderten mitten unter uns! Trotzdem werden sie als Verbrecher diffamiert, die „von außen in unsere Zivilisation“ eindringen.

Die europäischen Gesellschaften haben zwei Typen des „ungleichen“, Fremden hervorgebracht:

  • zum einen jenes Gegenüber, das „uns“ in Gestalt anderer Nationen entgegentritt und mit dem man um territoriale, wirtschaftliche und kulturelle Hegemonie ringt oder friedlich koexistiert.
  • zum anderen den „Fremden“, der unter uns und weder Freund noch Feind ist. Dieser ist an keinem Ort zu Hause, ein Nichts, ohne Nation und Heimat.

In diese Kategorie fallen „der Jude“ und „der Zigeuner“ als stereotype Figuren.

Ideologien der Ausgrenzung und Vernichtung

Daraus entwickelte sich einerseits der „wissenschaftliche“ Antisemitismus als Ideologie der Ausgrenzung und Vernichtung, zum anderen der Antiziganismus.

Die besitzlosen Romvölker gelten als Erscheinung der Steppen und Wälder, als unzivilisiert. Dies unter anderem, weil sie keine Schriftkultur besaßen und lange Zeit nomadisch lebten. Man diffamierte sie als „unzivilisierbare Parasiten“, denen man mit Verachtung begegnete.

In der aktuellen Debatte um die Roma-Einwanderung aus Osteuropa werden andere Stereotype gepflegt und kultiviert: Die Angst vor dem Eindringen von Menschen „aus dem Osten“ in unsere Sphäre. Das hat eine lange Tradition und richtete sich seit den Mongolen- und Türkenkriegen immer auch gegen die Romvölker.

Im Übrigen wird deren soziale Verelendung und vermeintliche Unterentwicklung als ein Zeichen der Rückständigkeit Südosteuropas gedeutet. Im Hass gegen die Roma entlädt sich auch das Ressentiment gegen die als weniger zivilisiert empfundenen Nachbarn im Osten Europas.

Das Denken über Sinti und Roma

Das Denken über Sinti und Roma ist bis heute geprägt von dem Bild der Nomaden, die durch Gelegenheitsarbeiten, Betteln und Diebstahl zu überleben versuchen. Im christlichen Mittelalter galt der „Zigeuner“ als sündig, in der Aufklärung als primitiv, im industriellen Zeitalter als Naturwesen. Stets sah man ihn als Bedrohung an und wies ihm die unterste gesellschaftliche Position zu.

Nur ein Beispiel dafür ist hier die Erklärung über ihre Sprache.

Als die Wissenschaft erkannte, daß die Romvölker eine eigene Sprache besitzen, die zu den Sanskritsprachen zählt, erklärte man sie zu Nachfahren der niedrigsten und verachteten indischen Kaste, der Parias. Reale wissenschaftliche Beweise gibt es hierfür nicht.

Dies ist auch unerheblich, denn die Romvölker sind, egal wo ihr Ursprung ist, für Rassisten -und dazu gehören solche „Wissenschaftler“ eben- nur eine „minderwertige Rasse“. Diese Prämisse führt dazu, daß das (vermeintliche) Wissen immer zum selben Ergebnis kommt: Zur Ausgrenzung.

Nun gibt es Menschen, die beharren darauf, den Begriff des  „Zigeuners“ benutzen zu können, weil sie das Bild des „Zigeuner“ als romantisch-ungebundenen Landfahrer mit Pferdewagen vor Augen haben. Hieran angeschlossen wird die Behauptung, daß die Bedeutung des Begriffs „Zigeuner” nicht mit der Bedeutung der heute üblichen, durchaus diskriminierend gebrauchten Begriffe “Roma” korreliert.

Was hier passiert, ist die Umkehr der Begrifflichkeiten: der rassistisch grundierte Begriff wird seines historischen Kontextes beraubt und „positiv besetzt“.

Zigeuner-Romantik als Kulturrassismus

Die Zigeuner-Romantik ist nur die Kehrseite der Verachtung. Die Romantiker glaubten, die „Zigeuner“ verfügten über einen geheimnisvollen Raum des Wunderbaren, den sie durch ihre nomadische Lebensweise zu verbergen suchten. Sie sagten ihnen nach, eine unsichtbare Welt irgendwo in der Natur oder im Inneren ihrer „schwarzen Seelen“ zu besitzen.

Die soziale Lebenswelt der Romvölker wurde durch solche Romantisierungen bis zur Unkenntlichkeit übermalt. Das lief auf ein bizarres Nebeneinander hinaus, das dazu führte, dass man die literarische Kunstfigur des „Zigeuners“ wegen ihrer Freiheit und Ungebundenheit bewunderte. Die ganz realen „Zigeuner“ sperrte man gleichzeitig wegen ihres Umherziehens ein oder ermordete sie.

Während Kitschobjekte wie röhrende Hirsche und Wackeldackel kaum den Blick des Betrachters auf die Wirklichkeit beeinflussen, neigt man dazu, die „Zigeuner“ in Kunst und Literatur als realistische Abbildung anzunehmen.

Die Darstellung der Carmen in Bizets Oper oder die der Esmeralda in Victor  Hugos „Notre Dame de Paris“ hat mit der Lebensrealität der „Zigeuner“ so wenig zu tun wie die Darstellung des Lebens der Indianer in den Romanen von Karl May.

Mitten in Europa leben heute Sinti und Roma unter menschenunwürdigen Bedingungen. Gleichzeitig gilt die Armut, die sie zu uns flüchten lässt, vielen als Beweis ihrer Unfähigkeit und Unkultiviertheit.

Vorurteile bestimmen die Wahrnehmung von Sinti und Roma: sie betteln angeblich, kennen keine sanitären Einrichtungen, neigen zu Gewalt und Verbrechen.

Die meisten Menschen sind sich einig: solche Leute gilt es zu bekämpfen, zurückzudrängen und zu disziplinieren. Dieses Denken teilen im übrigen auch Mitglieder der Piratenpartei.

Im Unterschied zur Shoah ist der Völkermord an den Sinti und Roma, sofern er überhaupt zugegeben wurde, im Geschichtsbewusstsein der Deutschen nicht präsent. Hier gibt es kein irgendwie geartetes Schuldbewusstsein.

Dies hat Folgen bis auf den heutigen Tag!

Die Leugnung und Verdrängung des Völkermordes an den Sinti und Roma führte dazu, dass die traditionellen antiziganistischen Vorurteile nicht bekämpft und schrittweise überwunden, sondern mehr oder minder ungebrochen überliefert wurden.

„Zigeunersoße“

Eine Folge davon ist, daß um „Zigeunersoße“ gestritten wird, um sich nicht vom Kampfbegriff des „Zigeuners“ zu lösen und wenigstens aus Respekt die Eigenbezeichnung Sinti und Roma anzuerkennen.

Kulturrassisten verklären das Bild des „Zigeuners“ und leugnen jeden historischen Kontext von Verfolgung und Unterdrückung.

Gleichzeitig versuchen sie, die hier beheimateten Roma als „Zigeuner“ mit einer langen kulturellen Tradition, die sich von jener der zugewanderten „unzivilisierten“ osteuropäischen Roma unterscheidet, darzustellen. Sie erklären, es gäbe einen Unterschied zwischen der Kultur „unserer Zigeuner“ und der der Sinti und Roma, trennen also ein Volk in Gut und Böse. Das aber macht den Eindruck, als wollten sie ihre Ablehnung des neu zugewanderten Teils der Sinti und Roma als zivilisatorischen und nicht rassistischen Akt darstellen. Nach dem Motto: ich habe ja nichts gegen „Zigeuner“, nur gegen Sinti und Roma.

Diese Menschen bezeichnen Menschen mit körperlichen Besonderheiten wahrscheinlich auch gerne als „Krüppel“ und behaupten, dies geschähe, um deren kulturelle Besonderheiten zu bewahren.

Als letztes: Wenn Mitglieder des Volkes der Sinti und Roma für sich individuell entscheiden, daß sie sich als „Zigeuner“ bezeichnen wollen, so ist dies ihr unbestreitbares Recht. Daraus leitet sich aber keinerlei Berechtigung für andere ab, ihnen ungefragt die Fremd-Bezeichnung aufzuzwingen.

Wer dies jedoch tut, der beleidigt Sinti und Roma erneut, denn er erklärt ihnen rassistisch überheblich, er wisse besser als sie, was das Richtige für sie sei.

1000 Dank an @Y5ANN @stoffeldear für Korrektur, Kürzungen und Kritik

[1] Hanns Friedrich von Fleming (1670-1733), Zitiert nach Bogdal „Europa erfindet die Zigeuner. Eine Geschichte von Faszination und Verachtung“ (Suhrkamp)