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Aufbruch in Fahrtrichtung links.

21. Januar 2016

Eine Erkenntnis des Jahres 2015 ist: Die Piratenpartei ist tot. Als ehemalige Angehörige, Funktionsträger*innen und Mandatsträger*innen der Piratenpartei arbeiten wir seit Jahren an den Fragen für die Politik des 21. Jahrhunderts. Die Unzulänglichkeit gewohnter Vorstellungen von Gesellschaft und Politik in einer immer enger zusammenwachsenden Welt gehört genauso zu diesen Fragen wie die konkreten politischen, ökonomischen und sozialen Umwälzungen durch Migration und Digitalisierung. Klassische Begriffe der deutschen Politik, des sozialen Austauschs und der privatrechtlichen Ordnung – wie Arbeit, Wissen und Sicherheit – funktionieren inzwischen anders und verhalten sich in aktuellen politischen Kontexten völlig unterschiedlich zu unseren politischen Erfahrungswerten. Wir haben erkannt, dass – wenn wir ein offenes und menschliches Europa und einen sozialen und freien Umgang mit neuen Technologien wollen – es unsere Aufgabe ist, ebensolchen Unzulänglichkeiten zu begegnen und neue Antworten zu finden.

Keine Politik zu machen ist für uns keine Option.

Obwohl einst genau zu diesem Zweck angetreten, ist die Piratenpartei dabei keine Hilfe mehr.

Dem zum Trotz haben wir uns dazu entschieden, uns weiter für ein sozialeres und offeneres Europa und Berlin einzusetzen. Keine Politik zu machen ist für uns keine Option.

Deutschland hat im Jahr 2015 mehr als 700.000 Geflüchtete aufgenommen und zunächst notdürftig versorgt. Wie sehr die europäische und die bundesrepublikanische Gesellschaft durch

diesen Umstand erschüttert worden sind, ist noch nicht erforscht. Die Implikationen können uns noch nicht klar werden, sie beginnen und sie enden sicher nicht mit dem Aufstieg der Deutschen Rechten in Form rechtspopulistischer Bewegungen und der rechtsradikalen AfD. Wie sich unsere Gesellschaft verändern muss und verändern wird mit den Menschen in Not, denen wir die Hand reichen, lässt sich sicher auch nicht im Jahr 2016 beantworten. Das muss in den nächsten

Jahrzehnten diskutiert und gestaltet werden. Wir sind überzeugt, dass es eine linke Diskurshoheit bei diesen und allen anderen umwälzenden Prozessen der globalisierten Gesellschaft und Ökonomie braucht, wenn nicht nur der gesellschaftliche Fortschritt der nächsten Jahre vorangetrieben, sondern auch der Fortschritt der letzten Jahrzehnte bewahrt werden soll.

Das 21. Jahrhundert zeichnet sich durch eine technologische und gesellschaftliche Entwicklung aus, die Kommunikation global und somit grenzübergreifend ermöglicht. Primat linker Politik muss es jetzt sein, diese globale Bewegungsfreiheit für alle Menschen zu ermöglichen. Nach der industriellen Revolution bietet sich durch die rasante Digitalisierung der globalen Gesellschaft die nächste Chance, grundlegende Prinzipien neu zu bewerten. Immer stärker automatisierte Produktionsprozesse können es ermöglichen, menschliche Arbeit weitgehend überflüssig zu machen. Damals wie heute liegt es in der Verantwortung der menschlichen Gesellschaft selbst, dafür zu sorgen, diese Entwicklungen zu nutzen. Wenn uns Maschinen noch mehr Arbeit abnehmen können, muss das auf eine Art geschehen, dass Arbeiter*innen nicht schlechter dastehen als zuvor, denn die Befreiung von der Arbeit kann auch befreiend für uns alle sein. Es gilt, dem dystopischen, permanent überwachenden und verwertenden Repressionsapparat eine positive, in Freiheit vernetzte Gesellschaftsvision gegenüberzustellen.

2016 nimmt Schlüsselrolle ein

Das Jahr 2016 nimmt dabei nicht nur für uns eine Schlüsselrolle ein, angesichts der Tatsache, dass die Piratenpartei, mit der immer noch viele von uns identifiziert werden, im Herbst des Jahres sehr wahrscheinlich keine Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus mehr stellen wird.

Es ist vielmehr das erste Wahljahr, nach dem die Migrationsbewegung nach Europa auch Deutschland erreichte. Es ist das Jahr in dem nach fünf Jahren völligen Versagens einer uneinigen Zweckregierung in Berlin wieder neu gewählt werden muss. Die fehlende linke Diskursmehrheit hat sich in den letzten Jahren der großen Koalition deutlich bemerkbar gemacht.

Die Seehofers, die Henkels und die Czajas dieser Republik stören sich nicht an dem etablierten braunen Mob, begründet er doch ihre „besorgte Bürger“-Rhetorik und entschuldigt das Versagen bei Aufklärung und Verhinderung von rechten Gewaltexzessen.

Wir halten dagegen.

Wir halten dagegen.

Wir fordern politischen Umschwung und werden dafür kämpfen, dass rechte Parolen und Ressentiments in der Berliner Politik nicht weiter Fuß fassen. Wir treten mit aller Kraft gegen die AfD ein, die droht in das Abgeordnetenhaus einzuziehen.

Wir arbeiten daran, die Menschen in der Stadt über den wahren Charakter ihrer rechtsnationalen völkischen Verirrung aufzuklären.

Wir stehen für „Netze in Nutzerhand“ und „Religion privatisieren“.

Wir fordern endlich eine transparente und offene Verwaltung und nachvollziehbares Regierungshandeln ein. Das hat sich seit dem Einzug der Berliner Piratenfraktionen in das Abgeordnetenhaus und die Bezirksverordnetenversammlungen weder geändert, noch ist es heute weniger nötig als 2011. Im Gegenteil, das Parlament der Hauptstadt wird seit fast fünf Jahren kontinuierlich entmachtet und in seinen Kontrollmöglichkeiten behindert. Es ist kein Zufall, dass Untersuchungsausschüsse sprießen, wo eine transparentere Verwaltung und ein handlungsfähiges Parlament gemeinsam mit der Öffentlichkeit Skandale schon in der Entstehung hätten verhindern können.

In einem Klima des Filzes und der Handlungsunfähigkeit empfinden wir es als Pflicht, politisch aktiv zu bleiben und zu werden und rufen dazu auf, sich mehr und nicht weniger in demokratische Prozesse und Diskurse einzubringen.

Für uns ist der freie Zugang zu Wissen und Informationen für alle eine Frage der sozialen Gerechtigkeit.

Für uns sind Gleichstellung und ein diskriminierungsfreier Zugang zu Sicherheit, Wohlstand und individueller Entfaltung kein Versprechen für eine ferne politische Zukunft, sondern eine Frage der Notwendigkeit. Das Aufbegehren der „technologisierten Jugend“ gegen den Missbrauch von Technologie zur lückenlosen Überwachung aller Menschen ist zum Kampf vieler gesellschaftlicher Gruppen gegen den offen auftretenden Polizei- und Überwachungsstaat geworden.

Wir brauchen ein Gesellschaftsbild, dass fundamental vom Status quo der Leistungs- und Segregationsgesellschaft abweicht und über den nächsten Wahltermin hinaus reicht.

Die organisierte Linke – und damit auch die Partei die LINKE – entwickeln und diskutieren als einzige in Deutschland ein solches Gesellschaftsbild in unserem Sinne. Wir möchten dazu beitragen, diese politische Vision gemeinsam mit der Linken zu entwickeln.

Wir haben uns dazu entschieden, die Linke in Berlin im Jahr 2016 und darüber hinaus kritisch und solidarisch zu unterstützen und so an einer solidarischen Alternative zum bürgerlichen Mainstream in Europa mitzuarbeiten.

Wir sehen uns.

Unterstützende

Gerhard Anger, ehem. Landesvorsitzender Piratenpartei Berlin

Monika Belz, Mitglied BVV Treptow-Köpenick

Leonard Bellersen, Generalsekretär Junge Pirat*innen

Benjamin Biel, ehem. Pressesprecher Piratenpartei Berlin

Florian Bokor, ehem. Vorstand Piratenpartei Sachsen

Joachim Bokor, ehem. Justiziar Piratenpartei Deutschland

Frederik Bordfeld, Mitglied BVV Pankow

Marius J. Brey, ehem. Piratenpartei

Steffen Burger, Mitglied BVV Neukölln

Katja Dathe, ehem. Schatzmeisterin Piratenpartei Berlin

Martin Delius, Mitglied des Abgeordnetenhauses

Konstanze Dobberke, ehem. Piratenpartei

Cornelius Engelmann-Strauß, Mitglied BVV Treptow-Köpenick

Anisa Fliegner, Sprecherin BAG Netzpolitik die LINKE

Marcel Geppert, Mitglied BVV Marzahn-Hellersdorf

Björn Glienke, Bürgerdeputierter Marzahn-Hellersdorf

Anne Helm, Mitglied BVV Neukölln

Oliver Höfinghoff, Mitglied des Abgeordnetenhauses

Michael Karek, ehem. Vorstand Piratenpartei Berlin

Jan Kastner, ehem. Kandidat für die Piratenpartei

Deutschland

Steven Kelz, Mitglied BVV Marzahn-Hellersdorf

Martin Kliehm, Fraktion DIE LINKE Römer Frankfurt a.M.

Fabian Koleckar, ehem. Vorstand Junge Pirat*innen Berlin

Lasse Kosiol, Mitglied BVV Spandau

Matthias Koster, ehem. Vorstand Piratenpartei Trier

Andreas Krämer, ehem. Vorstand Piratenpartei Bremen

Peter Laskowski, Bundeskoordinierungskreis der Ema.Li

Hartmut Liebs, ehem. Piratenpartei

Steffen Ostehr, Mitglied BVV Marzahn-Hellersdorf

Julia Schramm, ehem. Bundesvorstand Piratenpartei

Deutschland

Volker Schröder, Mitglied BVV Treptow-Köpenick

Daniel Schwerd, Mitglied des Landtages NRW

Dr. Benedict Ugarte Chacón, ehem. Piratenpartei

Dr. Simon Weiß, Mitglied des Abgeordnetenhauses

Jan Zimmermann, ehem. Vorstand Piratenpartei Berlin

#PiratinnenKon und Queer

8. April 2013

Ich freue mich, dass so viele Menschen in der Piratenpartei bereit waren, Zeit zu investieren, um einen Kongress wie die PiratinnenKon zu gestalten. Ich halte die bei dem Kongress besprochenen Themen für wichtig und bin überzeugt, dass die Ergebnisse die Beteiligten als Personen und die Piratenpartei als Ganzes weiterbringen werden.

Was ist „Queer“ eigentlich

Trotzdem kritisiere ich einzelnes an der #PiratinnenKon. Statt der expliziten Kritik jedoch etwas zu dem, was „Queer“ eigentlich ist. Denn daraus erschließt sich die Kritik dann von selbst, wie ich hoffe.

Was alle Lesenden verstehen sollte, ist, dass queer nicht nur für schwul, lesbisch oder ein modernes „gay“ steht, sondern für jede Ausgrenzung aus „normal“. Also auch bisexuelle oder andere Begehrensformen [1], die dem heteronormativen Normal widersprechen, der gesellschaftlichen Orientierung an heterosexuellen Beziehungen als Norm und Ideal. Lediglich Denkfaulheit oder falsch verstandene Hippness hat dazu geführt, dass sich „queer“ vor allem im deutschen Sprachraum als Synonym für „schwul/lesbisch“ durchgesetzt hat.

Erfunden wurde „queer“ in den 80er Jahren in den USA, von der Act-Up-Bewegung während der AIDS-Krise, als Kampfbegriff und als Verweigerung, sich auf eine eindeutige Identität festzulegen zu wollen. [2] Ins Deutsche lässt sich queer vielleicht am ehesten mit „schräg“ übersetzen. Nur dass hier niemand auf die Idee käme, von „schräger Theorie“ oder „schräger Politik“ zu sprechen. Einen politisch-kritischen Unterton besitzt der Begriff „queer“ nämlich nur selten, wenn er in der Subkultur auftaucht.

Aus Queer-Sicht ist die Vorstellung in Frage zu stellen, es gäbe naturgegeben genau zwei Geschlechter, die im „Normalfall“ durch ihr Begehren aufeinander bezogen sind. Aus dieser Norm wird auf gewisse Funktionen und Eignungen geschlossen (zum Beispiel Kinder zu bekommen und aufzuziehen). Und bei dieser Norm müssen wir fragen, welche Menschen sie ausgrenzt, an den Rand drängt und dabei ihre Körper und Psychen verletzt.

Gegenentwurf Queer

Queer geht über das tradierte Rollenverständnis hinaus. Queer begreift Geschlecht als Konstrukt, das Körper, Sexualität und soziale Geschlechterrollen miteinander verknüpft.

Die Komponenten „Mann“ und „Frau“, gesellschaftliche Orientierung an heterosexuellen Beziehungen als Norm und Ideal und Rollenverteilung gehören zusammen und haben sich in historisch-sozialen Prozessen zum Geschlechtsbegriff verdichtet, auch wenn in Deutschland die beiden letzten Punkte in den vergangenen Jahren rechtlich aufgeweicht wurden. Insgesamt sind diese Pole als Norm fest etabliert und haben sich tief in gesellschaftliche Verhältnisse, Denk- und Gefühlsstrukturen eingegraben.

Über diese Norm werden im Zusammenspiel z.B. mit einem Rasse- oder Volksbegriff Hierarchien hergestellt und reproduziert, die Einzelnen und Gruppen den Zugang zu gesellschaftlichen Möglichkeiten reguliert. Normabweichungen wurden und werden oftmals sozial nicht toleriert und als Krankheit dargestellt. Ganz zu schweigen von den vielfältigen Ausgrenzungen im sozialen Umfeld, auf der Straße, in der Arbeitswelt usw., die von unbewusst-versteckt bis offen gewalttätig reichen.

Queer stellt einen Gegenentwurf zur gesellschaftlichen Orientierung an heterosexuellen Beziehungen als Norm und Ideal, der Heteronormativität, dar. Das Infragestellen von Heteronormativität erfordert immer auch Kämpfe um die Sichtbarmachung nicht-heterosexueller Lebensentwürfe als auch die Organisation von Interessen.

Queer ist gelebte Normkritik

Im Gegensatz zu anderen, z.B. zu einzelnen feministischen Schulen, streitet Queer-Politik nicht für die Installation „besserer“ oder „neuerer“ hegemonialer Normen. Queer ist gelebte Normkritik.

Anders als frühere Emanzipationskämpfe, wie die der Frauen- oder der Schwulenbewegung, verweigert sich Queer einer Festschreibung auf einen Körper (Frau) oder eine sexuelle Identität (schwul). Neben den „klassischen“ Kämpfen, abweichende sexuelle Orientierungen vor Diskriminierung zu schützen und gleiche Rechte einzufordern, enthält Queer-Politik eine weitergehende Kritik an herrschenden Normalitäts- und Identitätszwängen. „Queer“ bedeutet nicht zwangsläufig Geschlecht auflösen zu wollen; doch ein weitergehender Anspruch, als nur Anerkennung für die eigene (geschlechtliche) Lebensform zu bekommen, sollte schon dabei sein.

Einigen sollte alle Queer das Streben nach einer Gesellschaft, die real post-gender ist.

Post-Gender und Cyborgmanifesto

„Post-Gender“ ist nicht, wie oft in der Piratenpartei gedacht, die Verneinung der Differenz von „Mann“ und „Frau“, sondern die Überwindung derselben. Wer akzeptiert, dass Geschlechter soziale Kategorien und Zuweisungen sind, kann darüber nachdenken, die kulturelle Prägung, die „Geschlecht“ ausmacht, zu überwinden.

Donna Haraway bringt die Bedeutung von „post-gender“ für Queer im Cyborgmanifesto (1995), das sie 1984 schrieb, schön auf den Punkt: „Einige Differenzen sind spielerisch; einige sind Pole von welthistorischen Systemen der Unterdrückung. ‚Erkenntnistheorie‘ handelt davon, den Unterschied zu kennen.“ [3] Das Cyborgmanifesto beschreibt die Vision einer Post-Gender-Gesellschaft als Überwindung des Rahmens von Sex und Gender.

Queer zu sein heißt, zuende gedacht, nicht mehr in die traditionellen Konzepte von Körper, Geschlecht und Begehren zu passen.

Diese Vorstellung wird im Cyborgmanifesto philosophisch untermauert. Das Cyborg ist das Geschöpf einer Post-Gender-Welt, Hybrid aus Mensch und Maschine, welche die Grenzen zwischen natürlich/künstlich, innen/außen, normal/pervers oder männlich/weiblich zusammenbrechen lässt. Das Cyborg verwischt diese scheinbaren Gegensätze, denn es befindet sich in einem Zustand, der jenseits dieser Gegensätze liegt.

An den Anfang des Cyborgmanifesto setzt Haraway die Frage: „Warum sollte unser Körper an unserer Haut enden?“ [3]

Queer offener und inklusiver

Daran anschließend stellt sich die Frage: Wieso sollen immer nur zwei Pole möglich sein? Erscheint nicht vielmehr eine Gesellschaft wünschenswert, die sich von Polen verabschiedet und für geschlechtliche Selbstbestimmung jenseits der zweigeschlechtlichen Logiken öffnet? Wenn Mensch diese Frage mit „Ja“ beantwortet, muss der nächste Schritt die Förderung der Idee des Erreichens einer Gesellschaft, die „post-gender“ ist, sein, und nicht der Beschluss, die Idee zu verwerfen, weil sich Deppen des Begriffs bemächtigt haben.

Queer ist gelebte Distanzierung vom Maskulinismus und solidarische Kritik an feministischen Projekten. Feminismus und Queer sind keine Gegensätze; in der Praxis gehen sie Hand in Hand.

Ich persönlich empfinde Queer als offener und inklusiver, weil feministische und LGBTQI-Themen und –Menschen Hand in Hand gehen.

Queer stellt den Versuch dar, die nominative Sicht von biologischem (sex) und sozialem (gender) Geschlecht zu überwinden und zu verflüssigen.

Beyond Gender oder eine postgender world, also ein Leben jenseits des Geschlechts ist für Queer eine erreichbar und erstrebenswert Perspektive. Mensch könnte auch sagen: Wir finden das gut. Wir streben das an.Wir wollen das. Wir kriegen das.

Ich danke @bastianhaas @t_bb_ @Panaschieren @ingwerbaer1 @acid23 @chaosrind und besonders @stoffeldearund @Ulan_ka für Korrektur, Kritik, Anregungen und Lektorat des Posts und eure Unendliche Geduls mit mir. Ihr seid Toll.

[1] sexuellem Begehren/desire

[2] Was ist Queer

[3] Cyborgmanifesto

Illegalisierte in der Bundesrepublik

5. März 2013

Das folgende ist ein Vortrag, gehalten auf dem Bundespolitisches Plenum der Piratenpartei zu Migration und Asyl am 02. und 03. März in Frankfurt/Main #AsylFFM

Jeder Mensch sollte sich vor Augen führen, dass wir fast immer und fast überall von Menschen ohne gesicherten Aufenthaltsstatus umgeben sind. Wir nehmen sie nur nicht wahr, weil sie, durch ihren Status, dazu gezwungen sind, wie unsichtbar zu leben.

Sie können keiner sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgehen und auch keine Sozialhilfe bekommen. Sie sind Offiziell gar nicht hier, haben weder eine Aufenthaltsgenehmigung, noch einen angemeldeten Wohnsitz, eine Steuernummer oder eine Krankenversicherung.

Der unsichtbare Teil der Gesellschaft

Trotzdem leben sie in der BRD, in jeder Großstadt. Wie viele es genau sind, weiß niemand. Jeder Behördenkontakt würde zur Abschiebung führen. Bei Rot über die Ampel zu gehen kann zum Schicksalsschlag werden, wird man von der Polizei erwischt.

Menschen ohne gesicherten Aufenthaltsstatus/ohne Papiere stellen einen Teil unserer Gesellschaft dar, leben aber in ständiger Angst, entdeckt zu werden.

Ihre Migrationsgeschichten, insbesondere die Gründe, die zu einem Leben in der Illegalität führten, sind sehr unterschiedlich. Totalitäre Gesellschaftssysteme, wirtschaftliche Ausbeutung, soziale Ungerechtigkeit und Krieg treiben Menschen in die Flucht. In der Regel sind westliche Gesellschaften unmittelbar oder mittelbar an der Entstehung oder an der Aufrechterhaltung der entsprechenden Konflikte beteiligt.

Das Nicht-Anerkennen dieser Fluchtgründe im deutschen Asylverfahren und die restriktiven Regelungen im Zuwanderungsgesetz bedeuten für Asylsuchende und Migranten, dass sie in die Illegalität gedrängt werden.

Ihre Migrationsgeschichten, insbesondere die Gründe, die zu einem Leben in der Illegalität führten, sind sehr unterschiedlich.

Ursachen für ein Unsichtbares Leben

Unter den Menschen „ohne gesicherten Aufenthaltsstatus “ sind abgelehnte Asylbewerber, die trotz ihrer Ausreisepflicht nicht ausreisen.

Zu ihnen zählen auch Menschen die im Besitz einer Duldung waren aber aus Angst, dass die Duldung nicht verlängert würde („Kettenduldung“), „abgetaucht“ sind.

Ebenso sind unter ihnen ältere und kranke Menschen die auf Grund der engen Familienzusammenführung Vorschriften nur „ohne gesicherten Aufenthaltsstatus“ zu ihren hier rechtmäßig lebenden Familienangehörigen umsiedeln können.

Zu erinnern ist auch an z.B. Studenten, die nach Ablauf ihrer Aufenthaltsbewilligung nicht in die Heimat zurückkehren können (z.B. Palästinenser aus Ägypten) und bis zum Erhalt einer Duldung dann „ohne gesicherten Aufenthaltsstatus “ sind.

Es sind im Übrigen auch schwule, lesbische und Transsexuelle jugendliche, die von ihrer Familie verstoßen wurden und ein Leben „ohne gesicherten Aufenthaltsstatus “ der Rückkehr in den Familienverband vorziehen.

Probleme haben auch Jugendliche über sechzehn Jahre, die von den Eltern (oder einem getrennt lebenden Elternteil) nicht angemeldet wurden. Dies ist oft ein Versäumnis aus Unwissenheit.

Dadurch aber driften die Minderjährigen in ein Leben „ohne gesicherten Aufenthaltsstatus“ ab.

Es gibt die Studierenden, deren Aufenthaltsbewilligungen nicht bis zum Abschluss des Studiums verlängert werden, weil sie die Regelstudienzeiten aufgrund vielfältiger Probleme überschritten haben.

Trotz der unterschiedlichen Gründe der Menschen ohne Papiere für ein Leben in der Illegalität ist ihnen gemeinsam, dass sie durch die bestehende Gesetzeslage im Alltag vom Zugang zu Bildung, Arbeit und Gesundheitsversorgung ausgeschlossen und ausgegrenzt werden.

Als Unsichtbarer Mensch Wohnen

Die Mehrheit der „ohne gesicherten Aufenthaltsstatus„ sehen sich ausbeuterischen, in Kenntnis der Abhängig- und Machtlosigkeit dieser Mieter/innen agierenden Hauseigentümern ausgesetzt. Es gibt dementsprechend Hausbesitzer, die sich darauf spezialisiert haben. Diese vermieten qualitativ schlechten, beengten Wohnraum mit oft

dürftig bis miserabler Ausstattung (fehlendes Wasser, kein Stromanschluss oder Dusche usw.) zu sehr hohen Mieten. Diese „Kunden„ sind am unteren Ende der Wohnskala und müssen sich mit dem niedrigstem Angebot zufrieden geben. [1]

Als Unsichtbarer Mensch Arbeiten

Das Leben ohne gesicherten Aufenthaltsstatus in einer Großstadt ist zu einem großen Teil (vielleicht sogar mehrheitlich) weiblich.

In Privathaushalten werden Frauen nicht nur als Reinigungskräfte eingesetzt, sondern auch in der Alten- und Kinderpflege, zum Einkaufen, Bügeln und um sonstige Erledigungen zu machen. Wichtig ist aber anzumerken, dass die autonom arbeitende Frau, die in verschiedenen Privathaushalten oder auch Büros und Praxen von Kunden der Mittelschicht (Ärzte, Rechtsanwälte) arbeitet, ihre Tätigkeit relativ selbständig gestalten kann und dabei meist verhältnismäßig gut verdient.

Der persönliche Umgang mit dem Auftraggeber ist in der Regel weniger belastend oder gar demütigend als in anderen Sparten der „illegalen„ Beschäftigung.

Bei aller relativen Autonomie bleiben erhebliche Nachteile für diese Frauen: Die Arbeit ist körperlich schwer, mit den Jahren kommen die gesundheitlichen Beschwerden (vor allem Rückenprobleme, Krampfadern in den Beinen usw.) auf sie zu, aber ohne den nötigen gesundheitlichen Versicherungsschutz. Die Frauen beklagen sich darüber hinaus in Interviews über Endqualifizierung (meist haben sie einen Beruf gelernt, manchmal sind sie Akademikerinnen), sie sind daher nicht stolz auf ihre Tätigkeit als Putzfrau.

Und: Sie sehen sich trotz ihrem Beitrag zum Lebensunterhalt für die Familie als „Rabenmütter“, die ihre Kinder allein zurück im Herkunftsland gelassen haben.[2]

Als Unsichtbarer Mensch Gesund bleiben

Im Krankheitsfall stehen Menschen ohne gesicherten Aufenthaltsstatus vor schwerwiegenden Problemen. Der Aufschub einer ärztlichen Behandlung führt in vielen Fällen zu einer Verschlimmerung und Chronifizierung von Erkrankungen. Dies könnte durch frühzeitige Maßnahmen verhindert werden.

Laut den Vereinten Nationen stellt das Recht auf den „besten erreichbaren Gesundheitszustand“ ein Menschenrecht dar, welches unabhängig vom Aufenthaltsstatus jedem Menschen gleichermaßen zusteht. Deutschland unterzeichnete diesen Pakt 1976.

Offensichtlich wird dieses Recht jedoch nicht gewährt, so dass Menschen ohne gesicherten Aufenthaltstatus in Deutschland noch immer einen unzureichenden Zugang zum Gesundheitssystem haben. Die reduzierten medizinischen Leistungen nach AsylbLG wurden nicht zuletzt von der Bundesärztekammer kritisiert und abgelehnt.

Zwar haben ohne gesicherten Aufenthaltsstatus einen rechtlichen Anspruch auf medizinische Notversorgung, der sich aus dem Asylbewerberleistungsgesetz ergibt. Doch bereits per Gesetz ist diese Versorgung auf das Nötigste eingeschränkt. Und faktisch gibt es überhaupt keinen freien Zugang für ohne gesicherten Aufenthaltsstatus zu einer medizinischen Versorgung: das Problem liegt in der Bezahlung der medizinischen Leistungen. Denn dafür wären die Sozialämter zuständig, die wiederum verpflichtet sind, ohne gesicherten Aufenthaltsstatus der Ausländerbehörde zu melden.

Eine verhängnisvolle Kettenreaktion, die mit der Abschiebung enden kann.[3]

Legalisierung

Bis in der BRD eine komplette Trendumkehr im Bereich Aufenthaltsrecht vollzogen wird, brauchen wir eine intensivere Politik für Menschen, die sich ohne gültige Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland aufhalten, um deren Recht- und Perspektivlosigkeit zu beenden. Wir benötigen eine Initiative zur Legalisierung von Menschen, die sich ohne gültige Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland befinden. Diese sollen eine unbefristete Aufenhalts- und Arbeitserlaubnis erhalten, um einen geregeltes Leben in Würde führen zu können.[4]

Quellen

[1] Zusammenfassung aus „Dass Sie uns nicht vergessen …“ Menschen in der Illegalität in München  , ab Seite 30

[2] Zusammenfassung aus „Dass Sie uns nicht vergessen …“ Menschen in der Illegalität in München , ab Seite 43

[2] Zusammenfassung aus „Dass Sie uns nicht vergessen …“ Menschen in der Illegalität in München , ab Seite 34

[3] Für ein liberales Aufenthaltsrecht

Material

Hier ist Massenhaft Material zum Thema verlinkt

http://wiki.piratenpartei.de/AG_Migration_Amnestie_Papierlose

und das hier ist die Standartstudie zu dem Thema „Dass Sie uns nicht vergessen..“

http://www.gruene-muenchen-stadtrat.de/seiten/pdfs/studie_illegalitaet.pdf

Literatur

http://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Publikationen/Expertisen/emn-wp-41-expertise-de.pdf

DER SPIEGEL, Nr. 49 (1995): Leben im Untergrund. Illegal in Deutschland. DER SPIEGEL vom

4.12.1995, S. 56 ff, Hamburg 1995.

Flüchtlingsrat – Rundbrief 31/32 (1995): Sonderheft: Heimliche Menschen. Illegalisierte Flüchtlinge.

Hrsg.: Förderverein Niedersächsischer Flüchtlingsrat, Hildesheim 1995.

Hartmann, Bettina (1999): Illegal in Berlin. Momentaufnahmen aus der Bundeshauptstadt. Betrifft:

migration, Nr. 4, Dez. 1999. Herausgegeben vom Erzbischöflichen Ordinariat Berlin, Berlin 1999.

What is this land Germany, so many travel there

27. Juni 2012

Wenn in der BRD um „Integration“ gestritten wird, geht es immer um Migration und die gesellschaftlichen Folgen von Einwanderung. Grundlegend aber geht es in dieser Debatte darum, in welcher Gesellschaft wir leben wollen.

Denn hinter den verschiedenen Positionen zu Migration und Inklusion stehen absolut gegensätzliche Vorstellungen von Gesellschaftlicher Entwicklung und Demokratie. Eigentlich ist die Integrationsdebatte somit eine Ordinäre Selbstverständnis Debatte.

„Integration“ als Begriff stellt dabei schon ein Problem dar. Denn wer soll sich hier warum und wieso in was integrieren? Und was für ein Prozess wird hier gefordert? „Integration“ bedeutet wörtlich so viel wie Einbeziehung oder Verschmelzung. Es wird bei „Integration“ und den Integrationsfetischisten  immer von mindestens zwei in sich geschlossenen, sich gegenüberstehenden Ethnien  ausgegangen, deren Verschiedenheit behauptet wird, die aber doch zu einem Ganzen werden sollen.

The McNicholas, the Posalski’s, the Smiths, Zerillis too

In der vorherrschenden Diskussion wird meistens wie selbstverständlich behauptet und statt der  Realität gesetzt , dass es bereits eine mehr oder weniger Heterogene Gruppe, auch „Aufnahmegesellschaft“ genannt, gibt, in die sich Neuankömmlinge einzufügen haben. Die als Fremd definierten Menschen sollen sich in die Merheitsgesellschaft einfügen, statt beispielsweise eine eigene mehr oder weniger Heterogene Gruppe, auch als „Parallelgesellschaft“ bezeichnet, zu bilden.

Der Knackpunkt ist, ob dieses eins-werden durch eine Unterordnung unter eine behauptete Leitkultur erreicht wird.  Unter dieser Bedingung ist „Integration“ dann Assimilation, die von den zu Integrierenden den Verzicht auf die eigenen Lebens- und Wertevorstellungen verlangt.

Ausgegangen wird dabei von einer „Mehrheitsgesellschaft“, die nicht nur einen fertigen Wertekanon und Verhaltenskodex besitzt, sondern diese nicht nur bereit stellt, sondern auch eine Infragestellung des vorgegebene  Wertekanons und Verhaltenskodexes nicht verträgt, ja verteufelt. Eine solche Gesellschaft kann niemals auch nur Vorgeben eine demokratische zu sein.

Demokratie bedeutet Leben, Infragestellen und auch Ausbau des vorhandenen. Ein Statischer und  fertiger Wertekanon und Verhaltenskodex,  der Kritik und Infragestellung nicht verträgt und Unterordnung verlangt, ist Diktatorisch und antidemokratisch.

The Blacks, the Irish, Italians, the Chinese and the Jews

Ein Gegenentwurf wäre eine Gesellschaft, die beweglich und offen ist, so das sie verschiedene Lebensweisen zulässt. Das Ziel wäre dann eine Demokratische Einigung über die Regeln, die das gemeinsame Leben  nun einmal erfordert. Und dies Gerade nicht unter der Maßgabe, dass die existenten Regeln einfach von den „Neuen“ übernommen werden müssen. Eine solche Gesellschaft erfordert die Partizipation aller, die Möglichkeit aller, die Regeln, an die man sich halten soll, mitzugestalten.

Aber bereits die Vorstellung, es stünden sich zwei absolut homogene Gruppen, die der deutschen und die der Migranten,  gegenüber, ist Herbei phantasiert und so nicht haltbar. Es ist, denen, die sehen können, klar und auch offensichtlich, dass wir in einer Gesellschaft leben, in der verschiedenste Lebensentwürfe, Werte und kulturelle Konventionen vertreten sind und nebeneinander koexistieren.

Und das ist nicht nur ein Fakt, es ist auch ein absolut schützenswertes Gut, das diese Gesellschaft ausmacht und Prägt.

 

Ernsthaft: Wer, außer den Herren Apfel, Pastörs, Köster und Voigt, will schon in einem Land leben, in dem alle dieselben Gerichte kochen, dieselbe Musik hören, die selben Filme schauen, sogar die   gleiche Kleidung tragen? Eine Anpassung an eine vorgefundene Kultur ist für menschen, die über mehr als den IQ eins Knäckebrots verfügen, nicht nur nicht erstrebenswert, sondern auch unmöglich, will man in einer demokratischen, agilen, veränderbaren Gesellschaft leben.

Come across the water a thousand miles from home

Wie soll dann die Alternative zu einer inter- oder multikulturellen Gesellschaft aussehen? Fakt ist, anzuerkennen, dass die Bundesrepublik eine interkulturelle Gesellschaft ist und das es keinen Demokratischen weg hin zu einer wie auch immer halluzinierten Monokulturen Gesellschaft gibt. Auch wenn man jegliche Einwanderung augenblicklich beenden würde, wird sich daran niemals nichts ändern.

Die Deutsche Diskussion über „Integration“  verengt sich auf „die Muslime“, „die Türken“, „die Araber“ oder „die Salafisten“. Hier werden „Gruppen“ erst mal künstlich konstruiert  um dann ebendiese künstlichen, selbst erschaffenen Gruppen zu stigmatisieren.

Der Augenmerk richtet sich dabei auf eine herbeigeredete, angebliche „Integrationsunwilligkeit“, wobei fehlende Schulabschlüsse, Arbeitslosigkeit etc. zunehmend propagandistisch mit den, den künstlich geschaffenen Gruppen angedichteten „traditionellen patriarchalischen“ Familienstrukturen erklärt werden.

Um nicht missverstanden zu werden: es gibt in dieser Gesellschaft  traditionelle patriarchalische“ Familienstrukturen. Diese gib es aber nicht nur in „Migranten“ Familien sondern auch und immer noch in Familien, die sich als teil der „Mehrheitsgesellschaft“ betrachten.

With nothin‘ in their bellies but the fire down below

Damit wird einerseits die verfehlte Politik kaschiert und gleichzeitig gesellschaftliche Probleme personalisiert sowie gleichzeitig ethnisiert und kulturalisiert. Die Tendenz der derzeitigen Debatte über „Integration“ lässt sich Plakativ wie folgt zusammenfassen: Eine Tendenz zur doppelten Marginalisierung.

Zunächst werden die Zugewanderten Politisch und Gesellschaftlich ausgegrenzt. Die Folgen dieser Ausgrenzung werden sodann den Ausgegrenzten selbst als Defizite angelastet. Damit entzieht sich die Gesellschaft  ihrer Verantwortung und kann sich als tolerant selbst beweihräuchern.

Und weil die Marginalisierten angeblich sozial schmarotzen, Bildung verweigern, reiche deutsche Kinder abziehen und verprügeln und die einzigen in diesem Land sind, die noch etwas gegen Schwule und Frauen haben, kann sich die sich selbst als Mehrheitsgesellschaft betrachtende Gruppe obendrein noch als Opfer ihrer eigenen Toleranz sehen.

Verstärkt wird dieser Effekt durch die wiederkehrende Beschwörung einer Leitkultur-Debatte, die so unfruchtbar wie ewig-gestrig ist und einzig auf die Ausgrenzung von Mitmenschen abzielt.

They died building the railroads, worked to bones and skin

Die Globalisierung, der faktische Wegfall von zwischenstaatlichen Grenzen in Europa und die zunehmende Individualisierung der Gesellschaft führen zu neuen Freiheiten und Möglichkeiten. Sie führen jedoch auch zu einem Wegbrechen der Vorstellungen von abgeschlossenen, „begrenzten“ Gesellschaften. Aus der Unfähigkeit mit den Realitäten umzugehen erwachsen Ängste und Abgrenzungsabsichten.  Angst und Abneigung vor allem möglichen als Unbekannt und Fremden empfundenen.

„Je weniger Grenzen die Staaten trennen, desto höher werden die Gartenzäune „, die die ihrer Identität beraubten Teile der Bevölkerung um sich herum errichten wollen. So sehen wir seit Jahren eine Zunahme rassistischer Tendenzen in der „Mitte der Gesellschaft“, bei Eliten und solchen, die sich selbst gerne dazu zählen. Die Abgrenzung und Herabsetzung „der Anderen“ hat dabei den Zweck, sich selbst und die vermeintlich „Seinen“ auf eine höhere, kulturell überlegene Stellung zu heben.

Dabei ist auffallend, dass eine eigene Identität nicht positiv beschrieben werden kann. Die Sarrazins und Seehofers dieser Republik treten nach „unten“ gegen Menschen, die ohnehin schon gesellschaftlich marginalisiert sind, können aber eine Positivformulierung von „Leitkultur“ nicht liefern. Im Zweifel müssen die „Werte des Grundgesetzes“ herhalten, was auch immer damit gemeint ist.

Die Frage ist, wie die grundsätzliche Gleichheit und gleiche unantastbare Würde der Menschen , die im GG erklärt wird, mit Debatten über „Kopftuch“ und angeblichen Sozialschmarotzer in einklang zu bringen ist.

Die Definition von Menschen als „Migrant“ führt zu einer Rechtfertigung staatlicher Repression und vielfachen strukturellen Benachteiligungen. Menschen ohne dauerhaft gesicherten Aufenthaltstitel sehen sich mit Anforderungen konfrontiert, die sie erfüllen müssen, um in Deutschland bleiben zu dürfen.

Died in the fields and factories, names scattered in the wind

Begnügte sich der Staat vormals im Wesentlichen damit, dass diese Menschen nicht schwer straffällig werden durften und ihren Unterhalt möglichst ohne den Bezug von Sozialleistungen sichern sollten, müssen sie heute ihre „Integrationswilligkeit“ nachweisen. Sie müssen „Integrationskurse“ besuchen, in denen sie die Feinheiten des deutschen personalisierten Verhältniswahlrechts lernen, obwohl sie überhaupt nicht in den Genuss der Ausübung dieses Wahlsystems kommen. Sie lernen deutsche Mittelgebirge, von denen kaum ein Norddeutscher je gehört hat. Sie kennen am Ende der Kurse das Grundgesetz besser als die meisten deutschen Staatsbürger, obwohl viele der darin festgehaltenen Rechte ihnen vorenthalten werden.

Am schlimmsten trifft es aber diejenigen, die einen Antrag auf Asyl gestellt haben oder deren Antrag abgelehnt worden ist. Sie dürfen in der Masse der Fälle nicht arbeiten und unterliegen einer Residenzpflicht, dürfen also den Landkreis, in dem ihre Unterkunft liegt, nicht verlassen.

Viele Flüchtlinge werden, etwa in Bayern, in Lagern zusammengepfercht. Dort dürfen sie nicht mal entscheiden, was sie essen wollen, sondern sind an die Lieferungen des Staates gebunden. Ausreichend Geld zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse erhalten sie nicht.

Doch selbst deutsche Staatsbürger mit „Migrationshintergrund“ sind von besonderer Ausgrenzung betroffen. In der Schule unterstellt man ihnen grundsätzlich, Probleme mit der deutschen Sprache zu haben. Sofern sie die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen haben, mussten sie oftmals eine andere Staatsbürgerschaft aufgeben, obwohl Millionen Deutsche eine doppelte (oder dreifache) Staatsbürgerschaft besitzen, ohne damit zu Staatsverrätern oder untreuen Gesellen zu werden.

 Died to get here a hundred years ago, they’re dyin‘ now

Die derzeitige Integrationsdebatte offenbart und verstärkt antidemokratische und Kultur-rassistische Tendenzen in der sich als Mehrheitsgesellschaft begreifenden Bevölkerungsgruppe.

Kultur-rassismus bedeutet, dass rassistische Argumentationsmuster nicht mehr biologistisch, sondern kulturell  begründet werden. Denn biologische Begründungen sind nach der Nazizeit aus der Mode gekommen. Die Begründungen von „wesensmäßiger Andersartigkeit“ haben sich also von der biologischen auf die vermeintlich unverfänglichere kulturelle Ebene verlagert.

Der Begriff Kultur wird in diesem Zusammenhang als etwas unveränderliches, den Menschen sozusagen genetisch mitgegebenes,  dargestellt. Es gibt demnach neuerdings also keine Rassen mehr, dafür aber Kulturkreise. Ähnlich wie beim Begriff Rasse wird der Begriff Kultur dabei als eine homogene Gesamtheit gedacht, die den einzelnen Menschen aus einem bestimmten Kulturkreis quasi durchtränkt.

Also: Kommst du aus einem anderen Kulturkreis, hast du eine andere Kultur, die untrennbarer Bestandteil von dir ist und du kannst dich deshalb nicht in Deutschland integrieren.

Aussagen von Spitzenpolitikern wie z.B. Horst Seehofer, dass die Einwanderung von Menschen  aus muslimischen und arabischen Ländern nicht erwünscht sei, weil sie kulturell so andersartig seien, sind nicht nur rassistisch sondern auch gegen den Gleichheitsgrundsatz gerichtet.

The hands that built the country we’re always trying to keep down

Von Spitzenpolitikern und unseren so sehr geschätzten „Eliten“ ventiliert, bewirken sie zudem eine Enttabuisierung und machen so rassistische Äußerungen gegenüber Muslimen salonfähig und verstärken damit rassistische Grundeinstellungen in der Bevölkerung.

Die sich permanent wiederholenden Endrüstungs-, Angst- und Kulturkampfdebatten lassen sich auch so interpretieren: Es geht dabei um Macht und den Zugang zu sozialem Status und die Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums.

Die „Mehrheitsgesellschaft“, die sich daran gewöhnt hat, die Einwanderer und deren Nachkommen auszugrenzen oder zu ignorieren sowie sie von den politischen Entscheidungsprozessen  de fakto auszuschließen, sieht ihre Felle davon schwimmen!

Die Art und Weise der derzeitigen Diskussion, bei der die „Leitkultur-Deutschen“ als Richter und Ankläger omnipräsent sind und die Sichtweise der zu „Angeklagten“ degradierten Migranten medial fast gar nicht vertreten ist, wirkt befremdlich.

There’s diamonds in the sidewalk, there’s gutters lined in song

Ekelerregend wird die Diskussion, wenn, von selbsternannten Experten, erklärt wird, welche Migranten die Bundesrepublik braucht und welche nicht. Migration ist keine Casting-Show, bei der die Bundesrepublik sich gut ausgebildete Leistungsträger aussuchen und andere durchen den Bohlen ausscheiden lassen kann.

Die Rede ist hier von Menschen, die eigene Gründe haben, in einem anderen Land leben zu wollen. Nicht selten sind das politische Verfolgung oder Armut. Es muss für ein reiches, demokratisches Land im Mittelpunkt stehen, Flüchtlingen ein besseres und sicheres Leben zu ermöglichen und nicht die Konkurrenz am akademischen Arbeitsmarkt zu erhöhen.

Dear I hear that beer flows through the faucets all night long

Die grundlegende Frage ist aber: in welcher Gesellschaft möchten wir leben? Fakt ist, wir leben in einer hochdifferenzierten Gesellschaft. Wir sollten uns der Realität stellen und uns dieser Tatsache endlich bewusst werden.  Die Anerkennung dessen bedeutet, das wir das Recht auf Differenz anerkennen.

Vorstellungen, die gesellschaftlichen Pluralismus abschaffen wollen und uns eine homogene Gesellschaft als Idealbild vorgaukeln werden unter solchen Vorzeichen keine Chance mehr haben. Die Integrationsdebatte so wie sie derzeit geführt wird, ist ein blöder, rassistischer Diskurs..

There’s treasure for the taking, for any hard working man

Es gibt keine demokratische Alternative zu der faktischen interkulturellen Gesellschaft in der bundesrepublik. Es ist an der Zeit, strukturellen Diskriminierungen und dem Alltagsrassismus aktiv zu dekonstruieren.

Die rassistischen Ausgrenzungs- und Stigmatisierungsstrategien in der sogenannten Integrationsdebatte müssen als das gekennzeichnet werden, was sie sind: eine Ersatzdebatte nach dem Sündenbockprinzip. Weil andere gesellschaftliche Probleme – ein desolates Bildungssystem, angeblich unbezahlbare Sozialsysteme und so weiter – unlösbar scheinen, werden die Probleme auf eine Migrationsproblematik verkürzt.

Nicht zuletzt sollte endlich die Tatsache anerkannt werden, dass Deutschland lange nicht mehr nur die Heimat von „ethnisch Deutschen“ ist und auch noch nie war, die alleine definieren können, was und wohin integriert werden soll.

Who’ll make his home in the Germany land

 

Nachtrag:

Die Überschrift sowie die Zwischenüberschriften entstammen abgewandelt oder im Original dem Son „American Land“ von Bruce Springsteen. Nacheinander gelesen ergeben sie die sechste, siebte und den Beginn der achten Strophe.